In dem, wie immer bei den Tutzinger Sonntagsgesprächen, gut gefüllten Saal des Andechser Hofes stellte Gernot Abend, 3. Bürgermeister von Tutzing, Kulturreferent und langjähriges SPD-Mitglied dem geneigtem Publikum Gisela Heidenreich vor.
Lange Zeit wusste Gisela Heidenreich nicht, welche Geschichte sich hinter ihrer Herkunft und ihrem Geburtsort Oslo verbarg.

Die Autorin war eines der unzähligen Kinder, die während der deutschen Besatzung in Norwegen in einem Lebensborn-Heim zur Welt kam. Die Schriftstellerin dokumentiert in ihren Büchern und auch bei der Lesung in Tutzing auf beeindruckende Weise, welchen Einfluss der Nationalsozialismus auf das Leben der Kinder- und Enkelgeneration hat. Aus dem Versuch Erlebtes zu verdrängen wurde eine völlig neue Legende aufgebaut – weit entfernt von der Realität – und wenn man sich in die Enge getrieben fühlt, dann kann man sich nicht mehr erinnern oder es wird weitreichend geschwiegen.
Gisela Heidenreich versucht die Verhaltensweise ihrer Mutter zu begreifen und deckt bei ihrer Spurensuche ein erschreckend hohes Maß an Selbstverblendung auf.
Ihre Botschaft bei den Sonntagsgesprächen: „die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit suchen, auch wenn der Weg schmerzhaft wird, denn der nie endende Kampf gegen Lügen, Verdrängung und verstocktes Schweigen löst in der Kinder- bzw. Enkelgeneration Schuldgefühle und belastende Zweifel aus.

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Gernot Abendt und Gisela Heidenreich bei den Tutzinger Sonntagsgesprächen am 22. Januar 2012

» Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. « Ingeborg Bachmann
Karrierist und Blender, Pferdenarr und Frauenschwarm: Horst Wagner war die große Liebe von Gisela Heidenreichs Mutter. Wagner war in Günstling Ribbentrops und Himmlers Helfer im Auswärtigen Amt, ein wichtiges Rad in der Mordmaschinerie der Nazis. Er wurde angeklagt wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 350.000 Juden – und nie verurteilt. Er entzog sich mit Hilfe ihm ergebener Frauen und alter Kameraden bis zu seinem Tod der bundesdeutschen Justiz. Nebenkläger Robert Kempner nannte das sarkastisch: „Eine
Meisterleitung“.
Gisela Heidenreich begibt sich auf Spurensuche und verfolgt den Weg des NS-Diplomaten Horst Wagner, der beinahe ihr Stiefvater geworden wäre und dem ihre Mutter half aus dem Nürnberger Justizgefängnis zu entkommen. Sie blieb ihm sieben Jahre lang eine treue Geliebte und Komplizin bevor Wagner sie fallen ließ und eine andere heiratete.
Heidenreich folgt ihm in ihrem Buch auf seinem Fluchtweg über die »Ratten- und Klosterlinie« nach Italien, dann weiter nach Südamerika und findet tief in Argentinien beklemmende Hinweise auf emigrierte Nazis. Sie durchforstet Archive in Deutschland und in Rom – und stößt schließlich in Bayern auf eine wichtige Zeitzeugin.
Gisela Heidenreichs Buch »Geliebter Täter« ist das spannende Lebensbild eines deutschen Karrieristen während des »Dritten Reiches« und die Geschichte einer fatalen Liebe.
Heidenreich ist tief in ihre eigene Familiengeschichte eingedrungen, die auch Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte ist. Sie will die Hingabe ihrer Mutter begreifen und deckt dabei alte Seilschaften auf, die Wagners Verurteilung verhinderten.
Gisela Heidenreich, geboren 1943 in Oslo, aufgewachsen in Bad Tölz und München, ist Sonderpädagogin, Paar- und Familientherapeutin, Mediatorin und Supervisorin. Ihr Buch »Das endlose Jahr«, in dem sie »die langsame Entdeckung der eigenen Biographie« als Lebensborn-Kind beschrieben hat, war ein Bestseller. In »Sieben Jahre Ewigkeit – eine deutsche Liebe« dokumentiert sie das geheime Leben ihrer Mutter. Sie ist PEN Mitglied und lebt in der Nähe von München.

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Gerd Heidenreich, Ehegatte der Autorin, unter den Gästen der Tutzinger Sonntagsgespräche

0 Kommentare
  1. Scholten Bettina
    Scholten Bettina sagte:

    Mehr Informationen nicht nur zum Thema der sog. „Rattenlinie“ kann man dem Buch „Stille Hilfe für braune Kameraden“, Das geheime Netzwerk der Alt- und Neonazis,Ein Inside-Report, Verfasser Oliver Schröm und Andrea Röpke, Ch.Links Verlag, Berlin, entnehmen.

    Dieses Buch ist sehr gut, man kann es nicht mehr weglegen…die Informationen verschlagen einem die Sprache….
    Unbedingt zu empfehlen!

    Dank an Michael Gärtner, der mich auf dieses Buch brachte!

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