Wenn der SPD-Generalsekretär Uli Grötsch und die Landtagskandidatin Christiane Kern am 24. August im „Tutzinger Hof“ in Tutzing reden werden, dann befinden sie sich an einem geschichtsträchtigen Ort:
In dieser Gaststätte fand am 15. November 1891 die erste große Veranstaltung der SPD im Raum Starnberg statt. Eingeladen in die Gaststätte, die damals noch „zum Löwen“ hieß, hatte das „Agitationskomitee für Südbayern“, der Vorläufer des heutigen SPD-Bezirksverbands Oberbayern. Als Redner war der Reichstagsabgeordnete Georg von Vollmar (1850–1922) angekündigt, der auf der „öffentlichen Volksversammlung“ über die Themen „Woran leidet das Volk“ und „Was die Sozialdemokraten wollen“ sprach. An die 200 Zuhörer sind gekommen. Die Veranstaltung in Tutzing, über die der „Land- und Seebote“ ausführlich berichtete, fand auch überregional Beachtung. Auch der „Kemptner Anzeiger“ kommentierte die Rede.
Die Tutzinger Rede von Vollmars war tatsächlich von großer Bedeutung für die Sozialdemokratie in Bayern. Erst im Jahr zuvor waren die Bismarckschen Sozialistengesetze ausgelaufen und damit das Verbot für die SPD, sich zu organisieren aufgehoben. Vom 14. bis zum 20. Oktober 1891 fand ein Parteitag in Erfurt statt, an dessen Ende die Verabschiedung des „Erfurter Programms“ mit den zentralen Forderungen der SPD stand. Unter anderem ging es um grundlegende Dinge, wie ein allgemeines und gleiches Wahlrecht anstelle des bisherigen Standeswahlrechts, ein Wahlrecht für Frauen, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, weltliche Schulen anstelle von Konfessionsschulen, Schulpflicht, Acht-Stunden-Arbeitstag, Verbot der Kinderarbeit und mehr. Von Vollmar war in Erfurt an der Diskussion beteiligt und startete im November 1891 eine „Agitationsreise“, auf der er für das „Erfurter Programm“ werben und die Gründung von SPD-Gliederungen fördern wollte. Und eben diese Agitationsreise begann er im Tutzinger „Löwen“.
Die zentrale Botschaft Vollmars lautete: „Die Sozialdemokratie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Lebensverhältnisse der Arbeiter zu verbessern und zwar in politischer und ökonomischer Beziehung“. Religion bezeichnete er als Privatsache, was natürlich gerade in der katholischen Presse auf wenig Gegenliebe stieß.
Mit der Botschaft des „Erfurter Programms“ im Gepäck zog Georg von Vollmar von Tutzing aus einige Wochen durch das Land und sorgte in vielen Orten für die Gründung von SPD-Ortsvereinen. Ob die Tutzinger Rede auch der Grund für die Gründer der ersten Ortsvereine im Bezirksamt (heute: Landkreis) Starnberg war, ist nicht bekannt. Aber im Jahr nach seinem Auftritt wurde 1892 in Starnberg ein erster Ortsverein ins Leben gerufen. Gauting folgte 1893.
Ein eigener bayerischer Landesverband bestand 1891 noch nicht. Dieser wurde 1892 gegründet. Erster Landesvorsitzender wurde Georg von Vollmar, der dies bis 1918 blieb. Heute ist Natascha Kohnen Vorsitzende der BayernSPD und Uli Grötsch ihr Generalsekretär. Der „Tutzinger Hof“ ist also die richtige Kulisse für seinen Auftritt.
Andreas Schöpf
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